Stolpersteinverlegung für Ernst Illi am 15.11.2022 im Kirchgässle 3 in Ostfildern-Ruit

 

Viel wissen wir nicht über Ernst Illi, der 1940 in Grafeneck ermordet wurde.

 

Er kam 1899 in Hebsack zur Welt, heute ein Ortsteil von Remshalden im Remstal. Von dort stammte seine Mutter, die damals aber schon zwei Jahre mit dem Ruiter Landwirt Jakob Illi verheiratet war. Jakob Illi hat das Haus im Kirchgässle ebenfalls im Jahr 1899 erworben. Er verstarb bereits früh im Jahr 1918.

 

Ernst Illi war das erste von vier Kindern. Er wuchs also hier im Kirchgässle auf, das damals aber noch etwas anders verlief. Nach der Schule machte er eine Lehre als Zimmermann.

 

Vermutlich 1916 musste er in den Krieg ziehen und im Ersten Weltkrieg kämpfen – man wurde damals mit 17 Jahren einberufen. Es gibt ein Foto, auf dem er mit den anderen Einberufenen zu sehen ist – übrigens das einzige Foto von ihm, das wir bislang kennen. Er schaut darauf nicht zuversichtlich, sondern ängstlich. Und er hatte allen Grund dazu, denn der Krieg war grausam.

 

Er soll bei den Kämpfen mit Giftgas in Berührung gekommen sein. Vermutlich trug dies dazu bei, dass er nach dem Krieg verstärkt psychische Probleme bekam. Ende 1920 wurde er in die Tübinger Nervenklinik mit der Diagnose „Schizophrenie“ eingeliefert. Er blieb dort ein halbes Jahr und wurde dann wieder nach Hause entlassen.

 

Seine Krankheit wurde aber nicht besser. 1922 ist er wegen Schizophrenie in der Heilanstalt Winnental bei Winnenden aufgenommen worden, und zwar auf Ansuchen der Angehörigen hin, wie im Krankenblatt vermerkt wurde. Damals hat er bei einer Körpergröße von 1,75 Meter

67 Kilo gewogen.

 

Er sollte 18 Jahre lang in Winnental bleiben. Über sein Leben dort wissen wir fast nichts, nur, dass er regelmäßig Besuch bekam. In der Familie wird erzählt, dass sich seine Erkrankung nach 1933 verschlimmerte, weil er sich so über die Nazis geärgert hat.

 

1937 wurde ein Gewichtsdiagramm angelegt, das überliefert ist. Er hat bis April 1939 immer so zwischen 67 und 70 Kilo gewogen. Dann wurde er immer dünner. Im Mai 1940 hat er gerade noch 60 Kilo gewogen.

 

Am 3. Juni 1940 ist sein Austritt aus Winnental dokumentiert mit der Anmerkung „verlegt!“, mit Ausrufezeichen. Möglicherweise war dieses Ausrufezeichen der anstaltsinterne Code für den Abtransport im Rahmen der nationalsozialistischen „Aktion T4“.

 

Die „Aktion T4“ ist eine nach 1945 gebräuchlich gewordene Bezeichnung für den systematischen Massenmord an mehr als 70.000 Menschen mit körperlichen, geistigen und seelischen Behinde­rungen in Deutschland von 1940 bis 1941 unter Leitung der Zentraldienststelle T4. Diese Er­mordungen waren Teil der Krankenmorde in der Zeit des Nationalsozialismus, denen bis 1945 über 200.000 Menschen zum Opfer fielen (Quelle: wikipedia).

 

Ernst Illi wurde also – vermutlich mit anderen Kranken der Heilanstalt Winnental – mit einem dieser grauen Busse abgeholt und nach Grafeneck gebracht. Dies geschah „auf ministerielle Anordnung gemäß Weisung des Reichsverteidigungskommissars“, wie später mitgeteilt wurde.

 

In der Tötungsanstalt Grafeneck bei Gomadingen auf der Schäbischen Alb wurden im Jahr 1940 systematisch über 10.000 Menschen mit Behinderung, vor allem aus Bayern, Baden und Württemberg, aber auch aus Hessen und dem heutigen Nordrhein-Westfalen, ermordet.

 

In aller Regel wurden die Kranken am Tag des Transports getötet. Sie wurden gleich nach ihrer Ankunft in eine als Duschraum getarnte Gaskammer geführt. Der Anstaltsarzt ließ Kohlen­monoxid in den Vergasungsraum einströmen, so lange, bis alle tot waren. Sie wurden sofort eingeäschert.

 

Das Todesdatum von Ernst Illi dürfte deshalb der 3. Juni 1940 sein. Die Angehörigen erhielten fast drei Wochen später einen Brief aus Grafeneck, wonach Ernst Illi am 19. Juni wegen eines epileptischen Anfalls gestorben sei. Bei einem Todesdatum am selben Tag wie die „Verlegung“ hätten die Angehörigen womöglich Verdacht geschöpft. Solche epileptische Anfälle habe er schon zuvor öfters gehabt, stand in dem Brief. „Wegen seiner schweren unheilbaren Krankheit bedeutete sein Tod Erlösung für ihn“, wurde zynisch bemerkt.

 

Die Mutter Marie Illi wollte wohl nicht, dass seine Urne nach Ruit geschickt wird. Deshalb wurde Ernst Illis Asche auf dem Anstaltsfriedhof in Grafeneck beigesetzt – so wurde es der Mutter jedenfalls mitgeteilt.

 

Ansprache von Stadtarchivar Jochen Bender bei der Verlegung des Stolpersteins für Ernst Illi am 15.11.2022 am Kirchgässle 3 in Ostfildern Ruit, mit freundlicher Genehmigung des Stadtarchivars.

"Kirchgässle" in der Kriegszeit.

Gemalt von Jan Cornelis de Mik (1921-1990), einem niederländischen Zwangsarbeiter in Ruit der in der Maschinenfabrik Esslingen (ME) arbeitete.

H x B  60 x 50 cm, Öl auf Leinwand, auf Holzfensterrahmen aufgespannt, im Besitz des Stadtarchivs Ostfildern.

Foto mit freundlicher Genehmigung von Jan de Mik jun., Boerdonk.

Mehr Informationen über den Maler finden Sie hier: Jan Cornelis de Mik

Er hat während seinem Zwangsaufenthalt in Deutschland Tagebuch geschrieben, siehe:

https://www.ostfildern.de/multimedia/Downloads/Stadtarchiv/Jan+de+Mik+Tagebuch+1943_1945-p-7060.pdf

Kirchgässle 1975 (Besuch von Jan de Mik jun. mit Ami 6 in Ruit).