Konfirmationsfoto Jahrgang 1918/19 mit Lehrer Karl Frühholz (stehend rechts) vor dem "gesegneten Eingang" der alten Ruiter Kirche - vermutlich 1933.

Rechts vorn Hedwig Rapp, eine der drei Töchter der Familie Jakob Rapp.

Frühholz hatte bereits einen Zweifinger-Schnauzer, wohl in vorauseilendem Gehorsam: er war auf dem Weg, ein guter Nazi zu werden, was ihm leider nichts genützt hat, denn als ehemaliger Kommunist wurde er trotzdem aus dem Lehrdienst entfernt.

Hedwig Frida Rapp als Konfirmandin um 1933 (geb. 8.3.1919 in Ruit, gest. 6.8.2007)

 

Postkarte, vermutlich finanziert und herausgegeben von der "Feinbäckerei und Kolonialwaren Jakob Rapp" zu Zeiten des 3. Reichs. Das "neue Schulhaus" hieß längst "Adolf Hitler Schule", wurde aber interessanterweise so auf der Postkarte nicht benannt. Rechts unten zwei Töchter des Bäckermeisters, Hedwig (JG 1919) stehend, rechts ihre 1930 geborene jüngere Schwester Else. Es gibt das Gerücht, dass diese jüngste Schwester Else nach Amerika ausgewandert sei, was aber nicht gesichert ist.

Oberes Foto:

"Blick in die nördliche Hedelfinger Straße, um 1939. Rechts sieht man den Gemischtwarenladen Rapp an der Ecke zur heutigen Plochinger Straße. In den 1920er-Jahren war es eines der vornehmsten Häuser Ruits und beherbergte auch ein Café. Die Hedelfinger Str. 32 dahinter hatte seit 1904 eine Schieferverkleidung."

Aus: "Ruit auf den Fildern in alten Ansichten", Schriftenreihe des Stadtarchivs, Bd. 14, 2023, S. 65

"Blick in die Plochinger Straße, 1941. Die Plochinger Str. hat schon Marienstraße, Friedhofstraße und Esslinger Straße geheißen. Hier blickt man nach Westen. Rechts angeschnitten sieht man die Plochinger Str. 5, dann die Plochinger Str. 3, die Hedelfinger Str. 30  und die Grabenäckerstr. 2."

Aus "Ruit auf den Fildern in alten Ansichten", Schriftenreihe des Stadtarchivs, Bd. 14, 2023, S. 72.

In den 1950iger und 60iger Jahren sah die damalige "Friedhofstr." nicht mehr ganz so nach Feldweg aus wie oben auf dem Foto, aber sehr viel anders auch wieder nicht. Genau hier rauf bis zur Becke führte mich mein täglicher Schulweg. Auf dem Balkon oben bei Becke war nie jemand, vermutlich war das obere Stockwerk unbewohnt. Beeindruckend der hohe Schornstein, der für die Backstube gewesen sein muss. Was mich schon als Kind immer beeindruckt hat, war vorn an der Hauptfassade der auch nach unten gewölbte Erker an der Hausecke. Sowas hab ich seither nie wieder gesehen.  

aus dem Badener Tagblatt vom 30.März 1946.

Warum kam diese Nachricht eigentlich bei den Badensern, wo doch das gemeinsame Bundesland Baden-Württemberg noch gar nicht gegründet war?

Aber abgesehen davon:

Meine Mutter wohnte seit 1921 in der Hummelbergstr. 9, ca. 200m entfernt. Sie erzählte mir:

Bei der damaligen Hausdurchsuchung spielte Hedwig, eine der drei Becke-Töchter auf dem Klavier, als all die gehorteten Lebensmittel zum Vorschein kamen, das bekannte Lied "Das kann doch einen Seemann nicht erschüttern".

Von Reue oder gar Scham also keine Spur.

Wenn man sich fragt, wie die Familie Rapp zu ihrem Ruf kam, so vermute ich die Ursachen hier. Mir war der Name Rapp lange gar kein Begriff, man sprach eben nur von "der Becke", quasi ein frühes schwäbisches Gendern, denn in dem Haus gab es nur Frauen -  oder gar von der "Beckaschell" ("Schell" ist ein schwäbisches, herabwürdigendes Schimpfwort für ein Frau - entweder wegen dem schrillen und lauten Klang ihrer Stimme, oder wegen der Weiterverbreitungsfunktion der Person, wegen Klatsch und Tratsch).

Die Tote war die ältere Schwester von Hedwig, Erwine Rapp, geb. 20.07.1913, gest. 18.6.2001, beerdigt 11.03.2003.

Es ist nicht ganz klar, wer eigentlich die "alte Becke" war, sie schien uns als Schüler sehr alt, vielleicht auch wegen ihrer Kleidung, einer dunklen schwarz-grauen Hausfrauenarbeitsschürze. War es die Mutter Frida (gest. 1982), oder die ältere Schwester Erwine des obigen Zeitungsartikels, die nicht gleich beerdigt wurde (geb. 20.07.1913 in Ruit auf den Fildern, gest. 18.06.2001, bestattet 11.03.2003)?

Ingeborg (JG 1948), die im Artikel erwähnte Nichte, war die Tochter von Hedwig und betrieb später den Krämerladen bis zuletzt.

Artikel aus: "Stuttgarter Nachrichten" vom 18.1.2002 (mit freundlicher Erlaubnis von Thomas Hörner und Gerhard Schertler).

 

Das Grab der Rapps lag auf dem Friedhof Ruit gleich hinter dem Haupteingang (an U-Bahn-Haltestelle "Ruit") linker Hand das erste Gab: Grablagen-Nr. G-VIII-766-767, das doppelbreite Grab wurde bereits aufgelöst.

Angaben zu Personen, die in dieser Grabstätte bestattet wurden:

Rapp, Jakob, geboren: 14.11.1884, gestorben: 28.06.1956

Rapp, Frida, geboren: 20.12.1888, gestorben: 24.05.1982 (Frau von Jakob Rapp)

Rapp, Erwine, geboren: 20.07.1913 in Ruit auf den Fildern, gestorben: 18.06.2001 (Bestattung: 11.03.2003)

Hottmann, Hedwig Frida, geboren: 08.03.1919 in Ruit auf den Fildern, gestorben: 06.08.2007

Das Ende 2012

Bis ca. 2010 wurde im Verkaufsraum der "Bäckerei" bzw. des Krämerladens wohl v.a. Flaschenbier an Durstige und Trinker ausgegeben. 

Nun ist das markante und leicht verruchte Haus in Ruit an der U-Bahn Haltestelle "Ruit" an der Ecke Plochinger / Hedelfingerstr. verschwunden, das Rometsch-Haus daneben auch, und die Schiller-Schule gleich mit.

Alles "schön modern", "städtisch", aber gesichtslos jetzt. Aus dem historischen Haus hätte sich was machen lassen.                

Das Dach war noch vor nicht allzu langer Zeit sehr aufwändig generalsaniert worden, alles in Kupfer, auch die Verkleidung der Dachgauben. An dem Pfeiler der Eingang mit kurzer Treppe zum Laden im Hochparterre hinauf. Rechts daneben ein Rolladen, eine späte hässliche Hinzufügung. Die Zigaretten- und Kaugummiautomaten gehörten ebenso schon immer dazu. Die Rollläden im Obergeschoss wurden nie hochgezogen.                                                                               (Foto: Jan de Mik)

Persönliche Erinnerungen

Ponti,

damals wohnhaft in der heutigen Plochinger Str. 5:

Meine Kindheitserinnerungen gehen dahin, dass ich/wir uns dort regelmäßig unsere Mohrenkopfweckle geholt haben um den Schulalltag in der Schillerschule (Grundschule) zu überstehen.

Gerne erinnere ich mich auch an das lecker duftende Halbweisbrot welches wir dort - oft noch lauwarm - gekauft haben. Bis wir daheim waren sah es aus, als hätten sich die Mäuse darüber hergemacht. Mit den Fingern den leckeren Brotteig herausgepuhlt und das allertollste war, wir wurden dafür nicht mal von unserer Mutter ausgeschimpft.

Die Erinnerungen an die Becke werden allerdings vom Unfall, den unsere Oma Elsa dort hatte, überschattet. Im Winter 1981 ist unsere Oma vor dem Laden oder auf den Treppen zum Laden, ausgerutscht da nicht geräumt/gestreut war. Mit einem Oberschenkelhalsbruch kam sie dann ins Paracelsuskrankenhaus, dort ist sie dann an einer Lungenentzündung, die sie sich eingefangen hat, verstorben und nicht mehr nach Hause gekommen. 

Renzo,

damals wohnhaft in der heutigen Plochinger Str. 5:

Zur Frau Rapp, besser bekannt als Beggaschell, kann ich nur folgendes sagen, sie war ja in der Schillerschule in der großen Pause immer auf dem Schulhof und verkaufte Brezeln etc. 

Der Laden wurde ja von den zwei Schwestern und ihrer Mutter geführt.

Ich möchte mal behaupten, dass der Großteil der Schüler, irgendwann mal was dort geklaut haben. 

War schwierig, da die Mutter versteckt in der Ecke saß und alles überwachte. 

Frühere Form der Überwachungskamera. 😂

Man bestellte ein Eis, die Kühltruhe stand hinten im Flur, wenn die Verkäuferin nach hinten ging, wurde über die Theke gegriffen und Süßigkeiten (Bonbons) für die Klassenkameraden geholt. 

Sie haben auch die Kaserne in Nellingen mit Backwaren versorgt. 

Was man nicht erzählen kann oder darf, ist, dass sie als ihre Mutter starb, diese in die Backstube gelegt haben, um weiter deren Rente zu kassieren. 

Irgendwann wurde aber der Gestank zu stark, dass alles aufgeflogen ist.

Gab damals ein riesen Drama, da sie ja dort weiterhin gebacken haben. 

Mehr weiß ich leider auch nicht.

Wolfgang,

damals wohnhaft Im Holder:

zur „Becke“ oder wie ich auch dunkel in Erinnerung habe „Becke Schell“ (?) sind meine Erinnerungen ziemlich schwach. Ich weiß nur noch, dass da abwechselnd zwei alte Frauen (in schwarzer Kleidung) hinter dem Tresen standen. Die waren beide sehr mürrisch und unfreundlich. Habe oft das Gefühl gehabt, die würden mich irgendwie übers Ohr hauen (minderwertige Ware oder Rückgeld falsch geben). Das kam vielleicht auch von der Geschichte, die in der Zeitung stand. Auch meine Eltern hatten die Meinung (glaube ich). Für mich lag die Bäckerei ja auf dem Schulweg bzw. nicht weit weg vom Holder. Dort hab ich ab und zu eine Brezel gekauft (wenn meine Eltern mir das Geld nach langem Bitten gaben) oder Double Bubble, der rosa Kaugummiblock zum Blasen machen. Englisch konnte ich ja nicht und hab dann halt ein Dubblebubble verlangt. Die Schwestern im Laden haben mit Bubblebubble geantwortet. Die Brezeln waren anders als die von Mack und den anderen Bäckern. Die haben, glaube ich, viel mehr (oder länger) Lauge eingesetzt. Deshalb waren die Brezeln dunkler und hatten eine dickere Außenhaut – aber sehr lecker. Was mir auch noch einfällt, ist der Kaugummiautomat an der Hausseite Friedhofstrasse. Den hab ich auch ab und zu betätigt und war immer sauer, wenn so ein blöder Ring o.ä. rauskam. Ich wollte doch die Kugel Kaugummi. Ja auf Kaugummi war ich richtig fipsig. Gab’s ja nur sehr wenig. Manchmal von dem Amerikanern in der Kaserne (Wrigley’s Juicy Fruit – in der gelben Packung)

Das sind meine Becke – Erinnerungen.

Gabriele, 

damals wohnhaft in der Hedelfinger Str.:

Bei uns sagte man nie " Becke", sondern "Latsche". Wie und warum es zu dem Namen kam weiß ich nicht. Solche Erinnerungen verschwinden leider...

Zur Becke fällt mir ein, dass meine Mutter von einer "Verschwundenen" erzählt hat. Ich weiß aber nicht mehr welche es war. Ausserdem meine ich gab es in Stuttgart auch noch einen Ableger mit einem behinderten Jungen. Ich habe meine Cousine angefragt,  ob sie noch was weiß.  Ausserdem fällt mir Hannelore Leutzins (Illi), Hedelfinger Str. ein, deren Mutter hat auch  noch alte Geschichten gewusst und vielleicht weiß sie ja noch was. 

Die alte Becke ist ja immer hinter dem Ladentisch auf einer herausgezogenen Brotschublade gesessen oder hat zum Fenster rausgeschimpft. Ausserdem hat sie mal einem von uns einen Eimer Wasser hinterher geschmissen, weil wir sie geärgert hatten. Die Schulhefte, die sie verkauft hat, waren veraltet und ich wollte mal ein neueres von ihr, darauf hat sie gemeint,  dass ich dann gar keines brauche. 

Hanne,

wohnhaft in der Hedelfingerstr.:

Der Lehrer Schütze war neu zugezogen, seine Tochter Christiane war bei uns in der Klasse und hat im Unterricht einmal das Wort „Beckaschell“ fallen lassen, weil sie den richtigen Namen der Becke gar nicht kannte. Daraufhin wurde sie vom Lehrer Kühner total „zusammengeschissen“, so eine herabwürdigende Bezeichnung dürfe man im Unterricht auf keinen Fall verwenden, die Familie hieße Rapp u.s.w. Dabei konnte es Christiane schlicht gar nicht wissen!

Wir haben immer Brezeln bei der Becke gekauft, weil sie die besten Brezeln machte! Ansonsten haben wir Brot usw. beim „Beckamack“ eingekauft.

Aber irgendwann wurde nicht mehr gebacken, schon in den 1980ern? Entweder war der Ofen veraltet und musste stillgelegt werden, oder es gab Hygienebeanstandungen?

Man konnte alles bei ihr bekommen, auch Jugendliche und Kinder: Alkohol, Kracher, Knallfrösche, und das jederzeit. Die mehr illegalen Dinge wurden links aus einer Kammer geholt, wo später eine Art Stehkneipe war, in der neben Bier auch Schnaps verkauft wurde (Jägermeister?).

Aber meist wurden Süßigkeiten aus Bonbongläsern verkauft, z.B. Kolaschlotzer, Schaummäuse, Brausestäbchen (die man in eine kleine Tüte bekam), Lakritzrollen etc.

Und die Familie hat sich an nichts gehalten, an keine Regeln, keine Gesetze, z.B. auch kein Streuen und Schnee räumen. Die Garageneinfahrt war eine gefährliche Stelle, denn die Garage lag tiefer und deshalb war der Gehweg an der Stelle uneben. Und sie waren richtige Messis. In der Garage stand ein dreirädriger Blitz und sie hatten einen roten R4.

Ingeborg hat auch gern Tote fotografiert in den Aufbewahrungsräumen vor der Beerdigung, wenn man sie ließ. Sie tauchte auch gern bei Vernissagen etc. auf und sammelte die Reste ein.

Vieles passt nicht zusammen. Die Familie besaß wohl mehrere Häuser oder Wohnungen in Stuttgart, auch im Hochhaus an der Ecke Stuttgarter Str. 19 / Kemnater Str. hatten sie eine große Wohnung, in der Ingeborg wohnte. Hedwig hat angeblich beim Korbmayer in Stuttgart Blumen verkauft und evtl. auch gebettelt, das hab ich aber nicht selbst gesehen (nur vom Hörensagen). Sie war doch mit einem Rechtsanwalt verheiratet?

Hedwig hatte drei Kinder, außer Ingeborg noch Heidrun (ca. JG 1955?), mit der haben wir auch manchmal gespielt, und einen mogoloiden Junge. Heidrun war die einzig normale, sie war glaub ich mit einem Architekten verheiratet und lebt jetzt im Schwarzwald.

Es gab ursprünglich auch noch die Mutter von Erwine, Hedwig und Else. Sie lehnte immer aus dem Fenster, zuletzt mit Kissen gepolstert, und war zuletzt nicht mehr gut zu Fuß – sie gab dann Anweisungen, das Gewünschte zu holen.

Sie haben sich am Ende wohl so verstritten, dass keiner das Haus halten und erhalten konnte – leider!

Rainer,

Erinnerungen an die Bäckerei in der Hedelfinger Straße:

Klaus,

damals wohnhaft in der damaligen Friedhofstr. (heute Plochinger Str.):

Im Fenster rechts über den Automaten schaute immer die alte Becke raus, die Frau des Bäckermeisters Jakob Rapp, zuletzt gepolstert auf Kissen (gest. 1982, den Vornamen Frida erfuhr ich erst jetzt auf Nachfrage beim Friedhofsamt).

Sie war zu meiner Schulzeit die Verkäuferin im Laden. Mein Elternhaus in der heutigen Plochinger Str. 7 ist kaum 100m vom Becke-Haus entfernt, gegenüber vom Friedhof. Eines Tages sah ich ein klagendes, furchtbar miauendes Kätzchen hinter der Vergitterung des Kellerfensters rechts unterhalb der Automaten. Nach etlichen Tagen, das Mitleid plagte mich täglich, half mir vermutlich Albrecht, ein Schulkamerad, mit einem Bleistift oder Hölzchen durch das Gitter zu stechen und die seitlichen Riegel innen anzuheben und damit zu öffnen. Wir konnten das Gitter abnehmen und die Katz ins Freie entlassen. Das hatte Folgen, denn wir waren offensichtlich beobachtet und verpfiffen worden. Meine Mutter musste als Folge eine Standpauke Hedwigs über sich ergehen lassen.

Für eine andere "Jugendsünde" schäme ich mich heute noch: ich habe mit einem Kurzzeit-Schulkameraden ein paar Mal Geld aus einer Milchkanne geklaut (die hing am Gartenzaun mit den Münzen drin für den Michmann oder die Michfrau, der dann vorbeikam und vermutlich Milch dafür einfüllte) das war bei einem Eckhaus in der Hedelfinger Str./Ecke Waldstr. Mit dem Geld haben wir bei der Becke Streichhölzer gekauft -  es war uns dann ein Vergnügen, diese anzuzünden, abzubrennen und im letzten Moment in den Graben zu werfen. Wir haben nichts anderes damit angezündet, die Stichflamme war wohl Vergnügen genug für uns. Das hat mir dann aber keine Ruhe gelassen und ich habe mir irgendwann ein Herz gefasst, bin zu diesem Haus hingegangen, habe geklingt, der Frau alles gebeichtet und ihr ein Sümmchen, das ich für angemessen hielt, als Wiedergutmachung ausgehändigt. Sie meinte, das war eine "reuige Sünde", ein Ausdruck, den ich noch nicht kannte.

Bestimmt erinnert sich jeder, der seit ihrer Einweihung 1965 in die Schiller-Schule ging, an die großen Pausen mit der alten "Becke" und ihrem großen geflochtene Korb, mit einer Traube von Schülern drum herum, um eine Brezel, ein Brötchen oder gar eine Schneckennudel zu ergattern. Ich konnte bei dem Tumult leider nie mitmachen, weil ich von daheim ein Versperbrot dabei hatte. Auf dem Heimweg dann noch Süßigkeiten im Laden kaufen - der Schulneubau muss ein einträgliches Geschäft gewesen sein, aber auch in der Justinus-Kerner-Schule hatte sie verkauft, meine ich (aber weiß es nicht mir Sicherheit).

Die ersten 100m die Friedhofstr. bis hinauf zum Becke-Eck zur Hedelfinger Str. waren der Anfang meines Schulweges und die Zeit für ein ritualisiertes Stoßgebet, denn ich wuchs in einer sehr frommen Familie auf. Eines der Gebetselemente war: "Lieber Gott, wenn einer von uns sterben muss, mach, dass wir alle zusammen sterben." Gemeint war meine fünfköpfige Familie. Schon ein bisschen verrückt für ein Kind, oder vielleicht doch "normal"?

Aus Neugier war ich um 2002-2004 nochmal in dem Becke-Laden, um ihn nocheinmal auf mich wirken zu lassen und um "Judenfürzle" zu kaufen, obwohl es nicht Silvester war. Ich habe damals mit Uri, einem Israelischen Künstlerfreund, zusammengearbeitet und in diesem Zusammenhang überlegt, ob wir daraus eine Arbeit machen könnten (siehe Unterseite "Kollaboration Uri Sigal Galkin). Sie kicherte, murmelte noch was vor sich hin (im Sinne von, ob man das heute noch sagen dürfte, womit sie natürlich Recht hatte) - aber hatte tatsächlich die "Judenfürze", für die ich gar keine andere Bezeichnung kenne (vielleicht "Knallfrösche"?), mitten im Jahr auf Lager und verkaufte sie mir... Sie liegen heute noch in der originalen Papiertüte irgendwo im Atelier herum, nur einen Strang hab ich mal unserer Tochter vorgeführt.

Unsere Tochter Clara, die in der Schillerschule in die Grundschule ging, wir wohnten wieder im elterlichen Haus, hat wohl das eine oder andere Mal eine Münze aus einem unserer Geldbeutel stibitzt, um einen ach so begehrten Ring aus den verführerischen Becke-Kaugummiautomaten herauszulassen, gestand sie uns später. Man sieht noch die drei Drehautomaten rechts neben dem Zigarettenautomat und vorn beim Gartentoreingang der Hedelfingerstr., den gabs zu unserer Zeit noch nicht. Natürlich blieb Claras Wunsch unerfüllt. Fragen wäre sicher besser gewesen, aber fragen wäre bei uns vermutlich zwecklos gewesen, das ahnte sie wohl. Eine verzeihliche "Sünde", finde ich - mit "kapitalistischer" Verführung muss man erst umgehen lernen...

Allgemeine Anmerkung:

Es wurde Kritik geäußert, dass die Erinnerungen, das Hörensagen, die Gerüchte zum Themenkomplex "Becke" zum großen Teil auf Nicht-Wissen bzw. Gerüchten beruhten.

Auch wird kritisiert, dass v.a. Negatives zur Sprache kommt.

Ich wäre für harte Fakten sehr dankbar und stelle natürlich gern auch Positives auf dieser Seite ein - aber bin einfach auf die kollektiven Erinnerungen angewiesen.

Natürlich muss man sich bewusst sein, dass persönliche Erinnerungen keine Fakten sind.

Wolf Biermann betitelte ein neueres Lied mit "Was du erinnerst, warst du nicht."

Aus: Der Spiegel Nr. 6 vom 3.2.2024, S. 33