Präsenz, Kritik, Utopie

Württembergischer Kunstverein Stuttgart, 26.8. - 24.9. 2017

 

gezeigt werden hier Fotos von der Eröffnung am 25.8.2017 von "Köln Silvesternacht", 2016/17

 

Presence, Criticism, Utopia

Württembergischer Kunstverein Stuttgart, August 26 - September 24, 2017

 

shown here are photos from the opening on 25.8.2017 of "Köln Silvesternacht", 2016/17

 

See also on this website (general info about the installation)

 

Photos from previous event at Unterjesingen

Vordergründig sind hier männliche Potenz und Gockelhaftigkeit präsent, über die mindestens geschmunzelt oder natürlich auch offen gelacht werden darf - etwa, wenn hier rein zufällig und überraschend der zum Kleid passende rote Schwellkörper in nächster Nähe plötzlich auflebt. Wenn das nicht Ausstrahlung ist?

Das dazugehörige Stimulus-Response-Schema, die "klassische Konditionierung", ist vom Pawlowschen Hundeexperiment allseits bekannt und wird hier ob ihrer Primitivität und Archaik zurecht der befreienden Lächerlichkeit preisgegeben. Wir (man, Mann) haben uns bei allen zivilisatorischen Errungenschaften ganz offensichtlich kaum von den Urzeiten entfernt, was bezüglich Lernfähigkeit leider allzu pessimistisch stimmen muss. Jeder Mann ein Neandertaler? Diesbezüglich offensichtlich zumindest annähernd. Und "Männer sind Schweine" - auch dies lässt sich schwerlich ganz von der Hand weisen.

Nicht genug der Selbstbezichtigung - kann ich doch an dieser Stelle auch preisgeben, dass diese Installation im Grunde auf eine Einzelarbeit zurückgeht, nämlich den verchromten Staubsaugertorso mit schwarzem Staubsack unten in der Mitte, der mir als Sperrmüllfund vor Unzeiten von meiner Frau geschenkt wurde. Er hat es um 2000 im Atelier als Einzelobjekt an die Wand geschafft, als „work in progress“ mit dem Arbeitstitel "Selbstportrait", sogar noch kunstvoll mit Filz zur Geräuschreduzierung ausgekleidet. Dies war dann aber der Impulsivität durch Querschnittsverengung abträglich. Ob seiner Singularität und Geräuschentwicklung trotz Filz ist er dann doch in der Resteecke des Lagers gelandet und hat dort sanft geruht, bis er nach der Silvesternacht 2015 zufällig wiederentdeckt wurde und zum kreativen Kurzschluss führte - die Idee zur Installation war geboren.

Soviel zur allgemeinen und längst grundlegend erforschten männlichen Sexualkunde. Es muss aber doch auch eine spezielle Sexualtheorie entwickelt werden, die das Kollektivverhalten thematisiert, das in der Kölner, Hamburger, Berliner, Münchner und Stuttgarter Silvesternacht nächtlich zutage trat und bei uns ebenso wie in Helsinki und Zürich, wo es auch entsprechende Vorfälle in jener Nacht gab, als Folge von Alkoholexzessen auf dem Münchner Oktoberfest einmal abgesehen, weitgehend oder vollständig unbekannt war.

Dass individuelles Begrabschen von Frauen ein Problem ist, ist längst bekannt und scheint noch unausrottbar, untherapierbar, ja ist gar noch immer strafrechtlich schwer zu belangen. Aber wie steht es mit der kollektiven, gemeinschaftlich vollzogenen Triebabfuhr und Männergewalt an Frauen, wie kann man sie verstehen?

Hier steht für die Kölner Silvesternacht offensichtlich der Tahrirplatz Pate (ironischerweise der "Platz der Befreiung"). Aber auch gezielte Gruppenvergewaltigungen z.B. in Frankreich, bei der muslimische Banden als Sittenpolizei auftreten und Selbstjustiz an Mädchen üben, die sich angeblich unislamisch verhalten, indem sie die Armen gruppenweise vergewaltigen und damit bestrafen, können als Vorläufer dieser Kollektivgewalt angesehen werden.

Alice Schwarzer sprach im Zusammenhang mit den Vorfällen der Kölner Silvesternacht zurecht von einer neuen Art von Anschlag, denn zweifellos kann sich ein solches Massenphänomen spontan ohne Verabredung unmöglich vollzogen haben.

Befremdliche Anmerkung:

Nach nunmehr zwei Ausstellungen tritt ein Muster auf: 80% der befragten Frauen und ein winziger Bruchteil der Männer verstehen den Zusammenhang der Arbeit mit dem ablesbaren Titel "Köln Silvesternacht" nicht und müssen quasi erst über den vagen Zusammenhang von "männlicher Erregbarkeit" und Staubsaugerpower aufgeklärt werden. Zugegeben, das Haushaltsinstrument und die Historizität legen vielleicht falsche Fährten. Obwohl die Arbeit so überaus eindeutig erscheint, kommt hier vielleicht eine gewisse Offenheit wider Erwarten zum Vorschein - was der Arbeit gut tut.

Und: der männlichen Spontanerkenntnis liegt möglicherweise die einfache körperliche Selbsterfahrung zugrunde - der eigene Körper scheint, eigentlich wenig überraschend, grundlegend für das Weltverständnis.

Apropos Historizität: die Jüngeren wissen tatsächlich nicht, dass es sich hier um Staubsauger handelt - kein Wunder, denn sie haben üblicherweise nie ein solches Gerät mit Staubsack im Haushalt wahrgenommen. Insofern bringen die Geräte Zeit, Geschichte, ja die Entwicklung von Design und den technischen Fortschritt ins Bewusstsein, womit wenigstens einem Saugerhersteller mit dem schönen Namen "Progress" späte Ehre widerfährt. Tragischerweise erfolgt menschlicher Fortschritt hin zu mehr Humanität so ungleich langsamer als technischer (wenn überhaupt).

Lärm:

die mittlerweile dank EU-Verordnung reduzierte Saugleistung moderner Staubsauger auf maximal 900Watt wird bei diesen historischen Exemplaren deutlich unterschritten. Trotzdem schwächeln sie nicht, im Gegenteil: sie machen sich überdeutlich bemerkbar und tragen deshalb die Zuschreibung "Störenfried" oder "Krawallmacher" zurecht und mit Fassung.

Kritik:

Möglicherweise wird es dem einen oder anderen fragwürdig erscheinen, eine solch schräge, vielleicht amüsante und komische Arbeit über dieses Ereignis zu machen. Für mich ist eine rein ernsthafte oder gar dokumentarische, mimetische Widerspiegelung keine anzustrebende künstlerische Option. Hier ist Galgenhumor und das existentialistische Absurde angesagt, wobei in einem zweiten Schritt Reflexion nicht ausgeschlossen ist. Das Abgründige kann erst dadurch darstellbar und "ansehbar" werden.

 

On the surface, male potency and cockiness are present here, which can at least be laughed at with a smile or, of course, with an open laugh - for example, when the red cavernous body matching the dress suddenly comes to life here by chance and surprise. What if that's not charisma?

The associated stimulus-response scheme, the "classical conditioning", is well known from Pavlov's dog experiment and is rightly abandoned to liberating ridicule here because of its primitiveness and archaism. We (man, man) have obviously hardly distanced ourselves from the primeval times with all our achievements in civilization, which unfortunately must make us all too pessimistic about our ability to learn. Every man a Neanderthal? In this regard obviously at least approximately. And "men are pigs" - this too can hardly be completely dismissed.

Not enough for self-accusation - at this point I can also reveal that this installation basically goes back to an individual work, namely the chrome-plated vacuum cleaner torso with a black dust bag at the bottom in the middle, which was given to me by my wife as a find of bulky rubbish at an inopportune time. Around 2000 he made it to the wall in the studio as a single object, as a "work in progress" with the working title "Self Portrait", even artfully lined with felt to reduce noise. This, however, was detrimental to the impulsiveness due to the narrowing of the cross-section. Because of his singularity and noise development despite felt, he ended up in the corner of the camp and rested there gently until he was rediscovered by chance after New Year's Eve 2015 and led to a creative short circuit - the idea for the installation was born.

So much for general male sex education, which has long been the subject of fundamental research. However, a special sexual theory must also be developed that deals with the collective behavior that came to light at night during the nights of Cologne, Hamburg, Berlin, Munich, and Stuttgart New Year's Eve, and that was largely or completely unknown here, as well as in Helsinki and Zurich, where there were corresponding incidents that night, as a result of alcohol excesses at the Munich Oktoberfest.

It has long been known that individual grabbing of women is a problem and still seems to be ineradicable, untherapeuable and even difficult to prosecute under criminal law. But what about the collective, collectively carried out drive to disburse and male violence against women, how can they be understood?

Here the Tahrirplatz is obviously the godfather for the Cologne New Year's Eve (ironically the "Place of Liberation"). But also targeted group rapes, e.g. in France, where Muslim gangs appear as moral police and exercise vigilante justice against girls who allegedly behave un-Islamically by raping and punishing the poor in groups, can be seen as precursors of this collective violence.

Alice Schwarzer rightly spoke of a new kind of attack in connection with the events of the Cologne New Year's Eve, for there is no doubt that such a mass phenomenon could not have taken place spontaneously without an appointment.

Strange remark:

Now, after two exhibitions, a pattern appears: 80% of the women questioned and a tiny fraction of the men do not understand the connection of the work with the readable title "Köln Silvesternacht" (Cologne New Year's Eve) and must first be enlightened about the vague connection between "male excitability" and vacuum cleaner power. Admittedly, the budgetary instrument and historicity may be misleading. Although the work seems so very clear, a certain openness may emerge here contrary to expectations - which is good for the work.

And: the male spontaneous knowledge is possibly based on the simple physical self-experience - the own body seems, actually not surprisingly, fundamental for the understanding of the world.

Apropos historicity: the younger ones don't really know that these are vacuum cleaners - no wonder, because they have usually never noticed such a device with a dust bag in their household. In this respect, the devices bring time, history, even the development of design and technical progress to the attention of at least one vacuum cleaner manufacturer with the beautiful name "Progress". Tragically, human progress towards more humanity is so much slower than technical progress (if any).

Noise:

The suction power of modern vacuum cleaners, now reduced to a maximum of 900 watts thanks to EU regulations, is significantly lower than that of these historic models. Nevertheless, they do not weaken, on the contrary: they are clearly noticeable and therefore bear the attribution of "troublemaker" or "rioter" right and with composure.

Criticism. It might seem questionable to some:

It may seem questionable to one or the other to do such a weird, perhaps amusing and comical work about this event. For me, a purely serious or even documentary, mimetic reflection is not an artistic option to be sought. Here, gallows humor and the existentialistic absurd are the order of the day, whereby reflection is not excluded in a second step. Only in this way can the abysmal become representable and "viewable".

 

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